Kopfnuss: Wenn ich eine Runde mit dem Rennrad drehe, gleicht sich der entgegen kommende Fahrtwind und der Rückenwind aus? In beiden Fällen wirkt die selbe Menge Energie auf mich ein. Aus kinetischer Energie wird durch Reibung Wärme. Doch Physik bei Seite. Sollte man sich aufhören über Gegenwind zu ärgern? Schließlich habe man doch auch gleich viel Rückenwind? Statistisch gesehen?

Ein Gedankenexperiment – Max

Diesem Gedankenexperiment kann man relativ einfach folgen. Wir stellen uns eine perfekte Bahn vor, die wir im Freien absolvieren. Also z.B. die Teilnahme an den Cyclassics in Hamburg. Hansestädter sind sich einig: hier weht der Wind meist aus Süd-West. So hat man bei der 100km langen Tour theoretisch die Hälfte der Strecke Gegenwind. Auf dem Rückweg dann Rückenwind. Bei 33,3km/h benötigt man genau 3h.

Darf ich vorstellen? Das ist Max Windström. Wie Ihr seht, arbeitet er kräftig gegen den Wind:

Max ist sportlich und hat einen 33,3km/h Schnitt.

Nun müsste man sich diese Bahn tatsächlich als perfekte Runde vorstellen und mal die Cyclassics bei Seite legen. Zudem kommt auf dieser perfekten Runde der Wind immer von Süden her.

Nun müsste man doch mathematisch zu einem eindeutigen Ergebnis kommen. Schauen wir mal genauer hin.

Die Zahlen – Max gegen den Wind

In unserem Rechenbeispiel ist die Hinstrecke gleich der Rückstrecke. Jeweils 50km, entspricht 100km gesamt. Der Testfahrer ist mit sportlichen 33,3km/h im Training. Gegen den Wind liegt sein Schnitt bei 23,3km/h, mit Rückenwind dagegen fährt er 43,3km/h – Windstärke 10km/h.

Eine faire Rechnung, der Wind müsste unseren Sportler genau so schnell machen wie er ihn bremst. Hausaufgabe: Welchen Schnitt fährt der Radfahrer tatsächlich?

Das Resultat – So lange braucht Max wirklich

Wie lange brauchen wir also für die gesamte Strecke? Bei 23,3km/h für die ersten 50km sind es ~2,15h (= 50km / 23,3km/h). Für die Rückrunde dann 43,3km/h für ebenfalls 50km, das entspricht ~1,15h (= 50km / 43,3km/h).

Scheint hier schon die Lösung versteckt? Tatsächlich, denn die Zeit macht den Unterschied. Während man gegen den Wind ganze 2,15h (2:09) braucht sind es mit Rückenwind nur noch 1,15h (1:09). Das heißt, Max verbringt eine ganze Stunde länger damit, gegen den Gegenwind zu strampeln, als er den Rückenwind auskosten darf!

Und wenn man die Zeiten nun zusammenaddiert, fällt auf: Max braucht mit 3:18 (3,3h) plötzlich 18 Minuten länger, als er für die Strecke mit seinem theoretischen 33,3km/h Schnitt braucht. Denn wenn man nun die 100km durch die tatsächliche Zeit teilt erhalten wir eine Durchschnittsgeschwindigkeit von 30,3km/h (= 100km / 3,3h).

→ Max verliert 18 Minuten und sein Schnitt fällt um 3 km/h – weil er mehr Zeit mit Gegenwind verbringt als mit Rückenwind.

Der Fehler beim Denken

Der Fehler in der Theorie entsteht genau dann, wenn man sich denkt: „Man verbringt doch die gleiche Zeit mit Rückenwind wie mit Gegenwind …“ Denn das stimmt nicht und kann nicht stimmen! Wenn überhaupt verbringt man die gleiche Strecke mit Rückenwind wie mit Gegenwind – und das ist etwas ganz anderes. Letztendlich kommt es ja darauf an, wie viel Zeit man für die Strecke braucht.

Man kann das Dilemma vergleichen mit dem Wettrennen der Schildkröte und des Hasen. Wer gewinnt wohl auf der 10km-Strecke – der Hase, der auf den ersten 5km einen 10km/h-Spurt ablegt und dafür den Rest der Strecke mit 3km/h ablegt oder die Schildkröte, die die ganzen 10km über mit mäßigen 5km/h dahintrottet? Wenn man schnell nachrechnet, hat der Hase ja einen Schnitt von 6,5km/h (= (10km/h + 3 km/h) / 2)!

Wer gewinnt wohl? Die Schildkröte mit den mäßigen 5km/h oder der Hase mit dem 10km/h Spurt?

Und dennoch: Der Hase benötigt zwar für die ersten 5km nur 0,5h, für die anderen 5km jedoch braucht er 1,66h – ergibt zusammen 2,16h. Die Schildkröte hingegen braucht für die ganzen 10km nur 2h. Ausdauer siegt über Tempo – und Rückenwind gleicht Gegenwind nicht aus!