Kälte legt sich über Nacht sichtbar als gefrorener Tau auf die Dächer. Die Rennräder dieser Nation liegen im Winterschlaf. Doch mein Appetit nach frischer Luft, Abenteuer und eine große Portion Erkundungsdrang sind durch die vielen Touren im Sommer nicht weniger geworden. Nein, jede weitere Tour bringt mich nur auf neue Ideen. Wieso nicht mal bei 0° auf einen ordentlichen Gipfel? Das Ziel ist geographisch naheliegend: Der Brocken (1.141hm) im Harz.
Auch diesmal zeigt sich die Bahn unkooperativ. Die Verbindung Hamburg – Hildesheim um 4:30 Uhr morgens ist für diesen Tag mit allen Fahrradstellplätzen ausgebucht?! Wer bitte fährt Ende Oktober um die Zeit und blockiert alle 12 Plätze im ICE. Ich schiebe dieses Ärgernis auf einen techn. Reservierungsfehler der Bahn. Und schwenke wieder aufs Auto um. Was sich anhand der Ausrüstung und Kälte als ausgezeichnete Alternative ausmacht.
Equipment für Frostige Expeditionen
Unterschätzt habe ich nämlich initial die Ausrüstungsgröße, die man bei Temperaturen unter 0 Grad braucht. Gerade wenn man 6-7 Std Fahrtzeit auf dem Rad plant. Denn die doppelte Menge Anziehsachen klingt vielleicht übertrieben, doch am Ende erweist sich das als lebensrettend. Zumindest quäle ich mich deutlich weniger als sonst – das muss diese Erfahrung sein, von der man landläufig spricht.
Was habe ich also dabei? Grob gesagt:
- Kamera und mehrere Objektive.
- Ein Stativ, vorsichtshalber – vielleicht habe ich Glück und kann einen guten Sonnenuntergang am Brocken oder ebendiesen in der Blauen Stunde einfangen.
- Pullover, warme Socken, langes Merino-Shirt und Handschuhe; All diese Dinge nehme ich doppelt mit, einmal am Körper und einmal in der Rahmentasche. Nach längerer Fahrt schwitzt sich alles durch, bei Gelegenheit möchte ich schnell auf trockene Sachen wechseln können. Gerade für die lange Abfahrt vom Gipfel ist das extrem wertvoll. Zusätzlich noch eine Windweste.
- Verpflegung: eine 0,7l Flasche, kleine Thermoskanne (passt in Flaschenhalter im Rahmendreieck) und eine Trinkblase (2l); diverse Snacks
- Im Auto für die Rückfahrt: Trockene Sachen (Schuhe, Socken, etc.) – um auch die letzten Km im Auto nicht im eigenen Saft zu sitzen.
Mein GPS Track
Fazit zum Track vorab: Bis auf eine kleine Stelle, die ich größtenteils schieben musste, ist der Track absolute Bombe. Mit meinen 38mm Stollenreifen (Rene Herse – 38×622 Steilacoom Extra Light) pflüge ich durch den Gravel und Wald. Also große Empfehlung zum Nachradeln:
Kleiner Augenmerk auf das Höhenprofil. Mit knapp 2.000hm kein einfacher Tagestrip, also man sollte aufs Gewicht achten und gute Kondition mitbringen. Aber ich merke diese Zahl am Ende des Tages kaum in den Beinen. Zu schön ist es durch die Wälder zu fahren und zu 80% kommt man mit Bundesstraßen nicht in Kontakt. Nur das letzte Stück zum Torfhaus, kurz vorm Brocken-Gipfel, wird man sich mit Autos arrangieren müssen.
Start bei -2° im Dunkeln
Rhythmisch trete ich in die Pedale und atme die eiskalte Morgenluft ein und aus. Gerade vor 15 Minuten bin ich aus dem Auto gestiegen, habe schnell die Sneaker gegen meine neuen Winter-Fahrradschuhe getauscht und mein Equipment zusammengesucht. Jetzt kommt die Morgenröte am Horizont schon durch und die kleinen Dörfer wachen auf. Zum ersten Mal probiere ich auch ein neues Gadget zum Fotografieren aus: Der Capture Clip von Peak Design.
Damit habe ich zwar einen Rucksack dabei, was man auf Langstrecke eigentlich immer vermeiden möchte. Doch es hat auch Vorteile, der wichtigste: ich habe meine Kamera immer direkt zur Hand auf der Brust. Mir ist es ziemlich wichtig meine beiden liebsten Hobbys Fotografie und Radfahren verbinden zu können. Und ich bin positiv überrascht über die Halterung, die Kamera stört nicht und baumelt wenig. Nur beim Wiegetritt im Stehen merke ich die Kamera. Sonst verliere ich keinen Gedanken daran. Und kann so jede kleine Szene schnell einfangen ohne große Pausen einlegen zu müssen.
Von gefrorenem Hügel zum Hügel zum Hügel zum Hügel… bis zum Horizont streckt sich dieses Bild. Und tatsächlich muss ich jeden einzelnen abfahren bevor ich so langsam an die Grenze zum Harz komme.
Zwar sind die ersten 3 Stunden am morgen die kältesten, doch merke ich schnell die Erfahrung aus vielen Ausfahrten im Winter. Nach und nach verfeinert man seine Ausrüstung. Baumwollshirts werden gegen langärmige Merino-Woll-Shirts ausgetauscht. Halstücher für Hals und Kopf kann man schön bis über die Ohren ziehen. Richtig warme Schuhe und als Upgrade auch Neopren-Überschuhe im Gepäck. Nichts davon hatte ich vor einigen Jahren noch bei den ersten Ausfahrten bei 0° dabei. Doch jetzt merke ich, wie viel diese Erfahrung und das verfeinerte Equipment wert ist. Ich kann die Fahrt auch bei gefühlten -5° (durch starken Wind) noch genießen. So schieße ich von Hügel zu Hügel und nähere mich dem Ziel.
Besonders gut war auch die Thermoskanne mit Tee. Bei jeder Pause am Morgen konnte ich mich schnell aufwärmen – das tut gut. Zu bemerken bleibt noch der einzige auffällige negative Punkt. Die Hose endet am Knöchel – unnötig kalt.
Im matschigen Schlamm und auf feuchten Waldwegen hinterlässt mein Reifen eine deutliche Spur. Forstarbeiten haben teilweise den Weg unpassierbar gemacht. Tiefe Furchen von Lastwagen, Traktoren und anderem schwerstem Gerät lassen mir keine Wahl. Mit meinen kleinen Fahrradreifen muss ich in den Spuren bleiben und langsam fahren. Solche Passagen sind zum Glück kurz. Die meiste Zeit geht es auf ausgezeichneten Radwegen voran. Bis ich zu einem Canyon komme.
Also zumindest ist das der Name des Highlights auf Komoot. Tatsächlich sieht es auch aus wie ein Canyon, eine kleine Insel „schwebt“ ganz allein in der Mitte. Das Land drum herum scheint weggefressen von einem alten Fluss, genauer weiß ich das nicht. Die Bilder beschreiben die Szene am besten. Beeindruckt von diesem kleinen Naturwunder gehts weiter zu einem riesigen Stausee.
Waren der Frost und die Kälte Anfangs noch ein Dämpfer, so steigt die Motivation am Vormittag weiter und weiter. Tatsächlich schwebt den ganzen Morgen der Gedanke mit die Tour abzubrechen, denn auch mit warmen Klamotten, nach sechs Stunden ist man irgendwann durchgefroren. Zwar steigt Mittags dann tatsächlich die Temperatur auf 5-7°. Denn der kleine Wetterumschwung bedeutet nicht nur Gutes, die Tour ist schon bald wieder gefährdet. Komme ich noch auf dem Brocken an?
Über Passagen im Wald scheint irgendwann die Granetalsperre durch. Ein gigantischer Stausee. Das brennende Farbspiel aus Orange, Gelb und Rot des Herbslaubs findet etwas Abwechslung. Mir ist sofort klar: dieser See alleine ist einen Besuch wert. Man kann komplett drum herum wandern, auf einem perfekten Weg fürs Wandern und Radfahren. Ganz ohne Autos.
Der Tag schreitet voran, ohne, dass ich weiter über einen Abbruch nachdenken muss. Dem Brocken komme ich mit jeder Pedalumdrehung näher und die letzten Kilometer und Anstiege sind nahe. Doch so langsam setzt ein leichter Regen ein. Nicht schlimm, kurz die Kamera in die Tasche packen und weiter. Mit den steileren Hängen findet auch meine Geschwindigkeit ihren Tiefpunkt. Kriechend kämpfe ich mich zum letzten Hang hoch, dabei hat sich der leichte Regen zu einem ordentlichen Schauer entwickelt. Am Torfhaus, dem letzten Pass vor den finalen 200 Höhenmetern, schüttet es dann richtig. Erst ist es nur eine leichte Planänderung, statt dem großen Stopp auf dem Gipfel wird es erst Mal diese Zwischenstation.
Es gibt einen Kamin und es ist schön warm. Tatsächlich ist das Wetter sehr bescheiden, gar keine Sicht und Regen. Die wesentliche Motivation, dass man auch Fotos machen könnte, ist zerschlagen. Auch wird eine späte Abfahrt nichts – viel zu kalt und regnerisch um so einen steilen Hang im Dunkeln herunterzuschießen. Ich trockne meine nassen Sachen und springe in die trockenen Zweitklamotten. Die Entscheidung ist gefallen. Der Brocken wird diesmal nicht fallen – zumal ich dieses Jahr im Rahmen der 16-Summits-Challenge schon oben gewesen bin (Beitrag steht noch aus). Gut ist, dass ich nun einen Grund habe wiederzukommen.