Wie einst Humboldt die Welt vermessen hat… so… naja, hier eine Parallele zu schlagen wird doch etwas pathetisch. Spannend ist die Vermessung der Fahrradwelt ja dann aber doch. Wieder darf ich Beruf und Hobby verbinden, das ergibt Daten-Analyse angewandt auf Fahrradtechnik. Doppelt Nerdig. Es geht also wieder Mal in die Untiefen der Fahrradtechnik und speziell Fahrradgeometrien. In dieser Episode: Stack und Reach. Und wenn ja, wie viele?

Bikefitting ist die perfekte Anpassung der Maschine an den Körper. Die beiden wesentlichen Gegenstücke für ein perfektes Fitting sind eine optimale Fahrposition (dem Körper etwas abverlangen) und Fahrradgeometrie (das Rad optimal für den Anwendungsfall und körperlichen Ansprüche) anpassen. Um diese komplexen Ideen auf möglichst eine einzige Zahl verständlich zu vermitteln hat man einfach den Quotienten aus Stack und Reach genommen.

In diesem Beitrag stellen wir uns die Frage:

Hat das Stack to Reach Verhältnis einen Zusammenhang zur „Entspannten“ und „Sportlichen“ Geometrie am Fahrrad?

Stack: Abstand Tretlager (Mittelpunkt der Kurbeln) zum Lenker – Vertikal.
Reach: Abstand Tretlager (Mittelpunkt der Kurbeln) zum Lenker – Horizontal.

Teilt man Stack durch Reach (StoR = Stack / Reach) erhält man den besagten Quotienten, z.B. „1,45“. Und so hat man genau einen Wert für ein Fahrrad: 1,45. Ist wie mit „42“ – als allgemein unnütze Antwort auf eine nicht zielführende Frage, die häufig sprichwörtlich in den Raum geworfen wird. Was besagt denn dieser Quotient und wem hilft das.

Stack to Reach Quotient – Die einheitliche Grundlage

Kurz gesagt gibt der StoR (Quotient) eine Idee, wie stark gebäugt man auf dem Rad sitzt. Ein kleiner Wert (<1,4) deutet auf einen starken Buckel hin. Der Reach ist weit (man muss also weiter vor greifen bzw. sich nach vorne dehnen) und/oder der Stack ist kurz (die Hände liegen also relativ tief, der Rücken muss eine stärkere Beuge machen). Diese beiden Faktoren wirken auf ein niedriges Verhältnis von Stack zu Reach, oder umgekehrt wirkt sich eben ein niedriger Quotient auf diese Körperhaltung aus. Das ist nicht all zu bequem aber dafür sehr windschnittig und schnell.

Umgekehrt ist ein hohes Verhältnis (StoR > 1,6) ein Anzeichen dafür, dass man mit einem aufrechten Körper unterwegs ist. Dies ist zwar wenig aerodynamisch, aber dafür gewinnt man Kontrolle und Überblick über die Umgebung. Zudem müht man sich weniger ab. So zumindest gilt es in der Theorie. Doch kann man diese Fahrradgeometrie-Binsenweisheiten auch praktisch unterfüttern? Das sollte nicht all zu schwer sein.

Mit dem Fahrradgeometrie-Tool, welches kürzlich hier im Blog ein Update erhalten hat, kann man besagte Geometrien vergleichen. Darin sind auch die Werte von knapp 150 Fahrrädern gespeichert. Daraus lässt sich schon eine ganz hübsche Statistik ableiten. Die erste Hypothese die es zu untersuchen gilt:

Das Stack-to-Reach Verhältnis ist pro Fahrrad-Kategorie unterschiedlich ausgeprägt.

Rennrad, MTB und Trekkingräder. Das wären die groben drei Fahrrad-Kategorien, die ich in den Raum werfen würde. Und tatsächlich zeichnet sich ein spannendes Bild ab, wenn man diese zwei Dimensionen Stack und Reach aufspannt.

Verglichen wurden immer die Daten gängiger Fahrradmodelle in der Größe L, bzw. eine Rahmenhöhe von 57 +-1cm.

Stack und Reach als Dimensionen der Fahrradwelt.

Kurz gesagt lässt sich daraus ableiten: Rennräder haben die besagte sportliche Haltung aus kurzem Stack/Reach und tummeln sich dem Quadranten ganz unten links. Trekking baut hoch auf und der Reach ist kurz, man muss sich nicht stark beugen. Hingegen haben MTB ein ausgewogeneres Verhältnis, aber gleichzeitig auch einen weiten Reach.

Man kann dies noch wie folgt weiter unterteilen in MTB: Enduro, Cross Country und Downhill. Als auch Race, Cross/Gravel und Triathlon beim Rennrad. Das Trekking bleibt ohne weitere Unterteilung:

Die Extreme im Bild sind beim Rennrad immer Triathlon-Räder. Mit 1,21 (Cervélo P5 Disc 2019) haben wir den niedrigsten StoR überhaupt. Der Größte Rennrad StoR ist 1,61 (Trek Domane SL 4 voodoo (2020)).

Beim MTB reichen die StoR Extreme von 1,35 (Trek Full Stache (2019) und Focus Jam 6.8 Seven (2020)) und 1,66 (Centurion Eve Comp (2018)).

Noch höher sind diese Werte bei Trekking-Rädern. Hier ist der niedrigste Wert 1,37 (VSF Fahrradmanufaktur T-100 Diamant (2019)) und der höchste 1,71 (Cube Touring black’n’blue).

Stack to Reach Verhältnis

Noch ist die eigentliche Frage nicht beantwortet, ob denn auch tatsächlich das Stack to Reach Verhältnis pro Gruppe unterschiedlich ist.

Was sich in dem Histogram so ordentlich nach Gruppen verteilt, kann man dies tatsächlich auch auf das Verhältnis übersetzen? Schließlich kann dieser Quotient aus einer hohen oder niedrigen Zahl gleichmäßig resultieren. Entweder hat man 600/400 (1,5) oder 800/533 (ebenfalls 1,5) um auf das gleiche Ergebnis zu kommen.

So ergibt sich folgendes Diagram für die tatsächliche StoR Verteilung:

Die Unterschiede sehen durchaus signifikant aus, jedoch ist die statistische Masse nicht aussagekräftig genug um hier tatsächlich von einer Signifikanz zu sprechen. Die Tendenzen sehen aber durchaus spannend aus:

  • Rennrad und speziell Triathlon-Zeitmaschinen sehen nicht nur unbequem aus, auch die extremen StoR Verhältnisse bescheinigen theoretische Schmerzen in der Fahrposition. Was tut man nicht alles für mehr Speed.
  • MTB hat eigentlich kein deutlich höheres StoR Verhältnis als Rennräder, die Tendenz ist aber durchaus da. Speziell auch hier gibt es viele Ausreisser nach oben hin. Insgesamt bauen MTB aber in jedem Fall höher auf, wie man im ersten Diagram schon gesehen hat. Da Stack und Reach in jedem Fall höher ausfallen.
  • Trekkingräder sind erwartungskonform. Hier sitzt man mit der aufrechtesten Position und die Daten zeigen eine deutliche Tendenz.

Weitere Kriterien – Geschlechter-Spezifika

Neben diesen Kategorien der Räder kann man die Datenbank aber noch weiter aufschlüsseln. Zum Beispiel in die Dimension „Geschlecht“, da es durchaus laut Hersteller Räder mit spezifischer Positionierung dahingehend gibt. Man könnte „Herren“ auch als Unisex interpretieren, aber wir vergleichen es mal dennoch miteinander. Der Neugier halber.

Durchschnittlich ist der StoR bei Männern 1,476 und bei Damen 1,505 in unserer Datenbank.

Tendenziell sind Damenräder etwas „gemütlicher“ in der Geometrie. Es scheint, dass hier durchaus eine Idee in der Fahrrad-Konzeption der entsprechenden Ingenieure dahinter steckt. Mehr zu sagen wäre jetzt reine Spekulation. Ich lasse diese Werte also erst Mal unkommentiert stehen. Bitte bedenkt, dass dies nur Tendenzen sind und keine signifikanten Daten. Gerade weil es gar nicht so viele Modelle gibt, die speziell für Damen entworfen sind.

Zuletzt wird noch eine Dimension auf Signifikanz überprüft. Nämlich der Preis der Räder. Die zu untersuchende Hypothese wäre:

Günstige Räder haben eine ausgewogene Geometrie und StoR-Verhältnis und teure Räder haben extremere Werte

Die Prämisse dahinter ist, dass speziell teure Räder in den Extremen zu finden sind. Da sie nicht für den Massenmarkt gedacht sind sondern ausschließlich für erfahrene Sportler konzipiert sind, die wissen was sie brauchen und aufs „Ganze“ gehen wollen.

Diese Theorie wird in den Daten jedoch nicht bestätigt.

Zwar sind die „Extremen“ in der StoR auch relativ teuer (die drei Triathlonräder). Jedoch ist hier keine Tendenz darüber hinaus erkennbar.

Fazit

Fahreigenschaften des Rads und seine Geometrie sind pro Fahrradkategorie deutlich erkennbar. Die Theorie zu Stack und Reach kann also in der Praxis bestätigt werden. Das ist zwar eine nette Bestätigung für die Fahrradbranche, aber was kann jede(r) Einzelne für sich selbst dabei raus ziehen?

Vergleicht die Stack, Reach und StoR Daten bei eurem nächsten Rad mit diesen Durchschnittswerten. Oder nutzt direkt das Fahrradgeometrie-Tool. Um eine Idee zu bekommen, wie sich ein Rad verhält. Ist es sportlich und unbequem oder habt ihr eine gute Sitzposition auf dem Rad? Das kann in der Recherche vor dem Kauf sehr hilfreich sein. Um das genau richtige Rad zu finden. Viel Erfolg!

Und was ist euer Stack-to-Reach Verhältnis? Teilt eure Meinung und Werte in den Kommentaren!