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Lastenräder haben sich in kurzer Zeit in Großstädten etabliert. Für mich zumindest hat die Sichtung dieser Räder in Hamburg in den letzten Jahren deutlich zugenommen. Angespornt durch den Trend der E-Bikes und des generellen Fahrradtrends. Multipliziert noch um ein Förderprogramm der Stadt Hamburg (welches bereits in vielen Großstädten Vorbild gefunden hat) kommen deutlich mehr Lastenräder auf die Straßen. Nach einem Jahr Muli berichte ich von längeren Fahrten und maximalen Belastungsproben für das faltbare Lastenrad. Ist das Ding Familien und Alltagstauglich?

Wie der Städter zum Esel kommt

2019 hatte ich schon lange mit dem Gedanken gespielt ein Lastenrad zuzulegen. Mit zwei Kindern im Haus und dem täglichen Weg zur Kita ist das einfach genial praktisch. So zumindest in der Theorie vor dem Kauf. Mit dem happigen Kaufpreis eines Kleinwagens muss man aber wirklich „All-In“ gehen und überzeugt sein von der Idee. Wird das Rad tatsächlich die Hoffnungen und Ideen erfüllen die man vorher hat? Was sagen die Kinder zu dem Transport? Werde am Ende nur ich das Lastenrad fahren, weil groß und klobig – oder kommt meine Frau damit auch zurecht? Als ich dann vom Förderprogramm der Stadt Hamburg gehört habe, welches knapp 30% des Kaufpreises trägt, war die Sache aber schnell beschlossen. Und die schnelle Entscheidung war gut, denn das Budget des Programms war binnen weniger Tage erschöpft. Immerhin stattliche 1,5 Mio Euro. Bei einem durchschnittlichen Preis von ca 4.500Eur (davon 30% gefördert, also 1.500 EUR) rollen also bald 1.000 mehr Lastenräder auf den Straßen. Finde ich gut!

Das Muli habe ich schon vor Jahren auf Messen gesehen. Auffällig ist das kleine Lastenrad, welches kompakt sein möchte und gleichzeitig Bierkästen und Kleinfamilien huckepack nimmt. Der Korb ist zusammenfaltbar. Der Radstand kurz, die Reifen mit 16″ (vorne) und 20″ (hinten) klein. Ein Hauch Brompton steckt hier drin.

Ähnlich genial wie das Brompton Faltrad finde ich das Konzept von Muli. Anhand der techn. Specs kann man schon vieles ableiten:

  • 1350mm Radstand (zum Vergleich ein durchschnittliches Trekkingrad hat ca 1.250mm; ein „echtes“ Bullet-Lastenrad kommt auf über 1500mm)
  • 195cm Gesamtlänge (damit das Muli aufgrund der kleiner Reifen auch echt kompakt in der Länge)
  • 70kg Zuladung im Korb (100l Volumen), welcher in zwei Schritten gefaltet werden kann
  • Stahlrahmen
  • 24kg Gesamtgewicht
  • Verstellbare Lenker- und Sattelhöhe (praktisch, wenn zwei unterschiedlich große Familienmitglieder das Rad fahren)
  • E-Antrieb von Pendix (aktuell oder demnächst soll auch ein anderer Antrieb konfigurierbar sein; meine Erfahrungen mit dem Pendix weiter unten)

Das Muli Lastenrad ist so kompakt, dass es problemlos auch in der Bahn transportiert werden könnte. Also so „problemlos“ wie auch andere Räder auch. Da es von der Größe her vom Alltagsrad kaum zu unterscheiden ist. Solange man das Muli hochgehoben bekommt. Wie das in der Praxis mit Bahn und sogar ICE aussieht berichte ich weiter unten.

Von der Idee zur Praxis – Muli im Alltag

Wie praktisch ist aber das Muli tatsächlich. Da es in erster Linie als Familientransporter (in unserem Fall) gedacht ist, ist die Akzeptanz aller Familienmitglieder wichtig. Getestet und Probe-gefahren habe ich das Rad alleine. Um das Handling und die generelle Tauglichkeit zu bewerten. Aber als das Muli dann tatsächlich geliefert wurde und ich vom Fachhändler nach Hause rollte war ich ziemlich aufgeregt. Nicht nur ist das Handling ungewohnt, auch etwas Unsicherheit macht sich breit. Passen überhaupt beide Kinder da rein? Der Korb sieht doch arg klein aus!

Zuhause also gleich eine Testfahrt. Das Ein- und Aussteigen mit Kindern muss erst Mal geübt sein, bevor alles so gut klappt. Auch die Sitzfläche muss man erst richtig einstellen, bevor die Kinder da wirklich bequem sitzen. Ausgeliefert war die Sitzfläche viel zu hoch eingestellt, die Große (4 Jahre, knapp 1m groß) hätte da gar nicht reingepasst. Aber zum Glück kann man den Sitzbereich sehr flexibel gestalten. Die Kinder können in Fahrtrichtung oder entgegen sitzen (das bieten die wenigsten Räder an). Aber dazu unten mehr.

Nachdem sich alles zurechtgeruckelt hat läuft alles geschmeidig. Und natürlich haben die Kinder Spaß! Man kann sich das schon gut vorstellen, denn gerade für die ganz Kleinen ist es toll zum ersten Mal den Fahrtwind im Gesicht zu haben und so schnell unterwegs zu sein. Erste Probe bestanden!

Langstrecken und Touren

Ich habe alle Fahrten mit dem Muli brav in Strava notiert. Als separates Equipment. Damit kann ich den Kilometerstand immer sehen, zumindest für meine Fahrten. In einem Jahr sind so ziemlich genau 1.000km zusammen gekommen. On-top noch die Kilometer, die meine Frau ohne mich zurückgelegt hat, das wären noch Mal locker 300km. Das ist mehr als ich erwartet hätte. Und spricht eben für das Muli, denn es macht wirklich Spaß damit unterwegs zu sein.

Die meisten Fahrten bewegen sich im eigenen Kiez. Von Zuhaus zur Kita, zum Spielplatz und überall dazwischen. Unsere längste Tour waren etwas mehr als 60km, ein Tagesausflug. Klappt alles soweit Reibungslos.

In Hamburg kann man auch super Fähre fahren, als Teil des ÖPNV-Netzes. Das Muli und Kinder natürlich dabei.

Geplant war auch eine längere Tour mit dem Muli, Bahn und evtl. auch ICE. Jedoch haben sich dieses Jahr alle größeren Reisen und Urlaube als unplanbar erwiesen. Spontan hat es im Sommer auch nicht geklappt. Deshalb kann ich über die Langstrecken- und Bahntauglichkeit nicht so viel berichten. Den Plan mit dem Rad in der Bahn und dann via Fähre auf die Nordfriesischen Inseln zu reisen steht aber noch. Wenn 2021 urlaubstechnisch besser planbar wird.

Soweit ist die Reisetauglichkeit als sehr gut zu beweten. Im Detail kann man aber hier und da aber auch etwas meckern. Deswegen hier die Bewertung der Kategorien die mir einfallen im Detail. Wenn euch etwas spezielles fehlen sollte: gerne kommentieren!

Meine Bewertung des Mulis

Auf folgende Punkte möchte eingehen, die mir besonders positiv oder negativ in den letzten 12 Monaten aufgefallen sind.

Größe des Korbs – Maximale Zuladung

Ab auf den Recyclinghof; Müll und 1,5 Kisten Leergut

Wenn man es drauf anlegt, dann kann man schon ordentlich was rein packen in den Frontlader. In meinem Fall war die größte Tour mit einem großen Bierkasten, einem halben Kasten, drei Tüten Leergut und etwas Müll für den Recyclinghof. Die bisher voluminöseste Belastungsprobe. Ist die Ladung ordentlich gesichert läuft es ganz gut. Wobei das hohe Gewicht die Lenkung erschwert.

Insgesamt kann so ein Lastenrad etwas schwammig in der Lenkung werden. Da der Stahlrahmen doch ordentlich am flexen ist. Auch fährt es sich dann über holprige Fahrradwege und Bordsteinkanten etwas schwerer. Aber in keinem Moment unkontrolliert oder unbequem. An die Blicke auf der Straße gewöhnt man sich dann auch.

Für den Transport von zwei Kindern ist der Korb relativ klein. Spätestens Ende nächsten Jahres wird die Große mit 5 Jahren zu Groß. Ihr Bruder ist jetzt 2 Jahre alt. Aktuell passen beide Kinder gut rein, aber es wird schon etwas kuschelig. Aber mit 5 Jahren kann man auch kleinere Strecken selbständig mit dem Rad zurücklegen.

So wird das Muli nach und nach vom Kindertransporter zum Sachentransporter.

Möchte man einen Großeinkauf machen und zwei Kinder transportieren, dann wird es im Korb sehr eng. Unterhalb der Sitzfläche ist sehr wenig Raum. Man sollte dann darüber nachdenken einen Gepäckträger und Ortlieb-Seitentaschen zusätzlich zu montieren.

Pendix E-Antrieb

Unsere Ausstattung des Muli beinhaltet einen E-Antrieb. Dieser wird von Pendix installiert. Dieser ist als nachrüstbarer Antrieb bekannt. Der Akku sieht aus wie eine Thermoskanne und wird im Rahmendreieck platziert. Statt der Trinkflasche.

Der Antrieb selbst sitzt in der linken Kurbel. Hier findet dann die Kraftunterstützung statt. Mit drei Stufen, die man am großen Drehrad am Akku steuert, kann der Antrieb in 70%, 100% und 150% Modus genutzt werden.

Die Reichweite des Pendix wird laut Hersteller in großen „von-bis“-Bereichen angegeben. Je nach Zuladung, Fahrtwind, Anstiege, eigener Kraft, usw. kann der Akku 15km weit reichen. Oder bis zu 100km. Die Spanne ist also denkbar groß. Die geringe Reichweite von 15km hat man wirklich nur, wenn man das Rad voll beladen in stärkster Unterstützung fährt. Hingegen sind 100km auch kaum haltbar, außer alle Bedingungen sind zufällig perfekt.

In der Praxis rechnen wir immer ca 25km mit einer normalen Ladung. Die höchste Reichweite lag bei knapp 50km, dabei war der Akku die meiste Zeit im Sparmodus. Hingegen war das Rad ordentlich beladen mit zwei Kindern.

Meiner Meinung ist das eine gute und ausreichende Reichweite. Man kann auch einen zweiten Akku bestellen, um eine wirklich lange Tour zu fahren. Plant man eine mehrtägige Tour mit E-Antrieb, dann muss das Ladegerät unbedingt mit.

Insgesamt war der Antrieb über die bisherige Testlaufzeit sehr zuverlässig. Im ersten Monat gab es einen Ausfall des Akkus. Der Antrieb war plötzlich weg, obwohl der Akku voll geladen war. Nach etwas recherche hatte ich die Lösung gefunden, man muss den Einschaltknopf 45 Sek. lang gedrückt halten. Um die Software des Akkus neu zu starten. Danach lief der Akku bis heute ohne Probleme.

Faltbarkeit und Kompaktheit des Muli

Die Faltbarkeit des Korbs ist super praktisch. Beispielsweise wenn man ohne Ladung unterwegs ist, dann finde ich es schöner kompakt unterwegs zu sein. Weil Aerodynamischer und das Handling agiler ist.

Zudem passt man so mit einem Lastenrad auch in die Bahn (Regional oder S-Bahn). Ganz ohne viel Raum einzunehmen.

Generelles Handling des Lastenrads

Meiner Meinung sollte man ein Lastenrad immer im Bullet-Aufbau als Einspur-Fahrzeug nehmen. Statt zwei Rädern vorne (oder hinten). Das ist nicht nur agiler, sondern meiner Meinung auch sicherer. Auch wenn das konterintuitiv ist. Zwei parallele Vorderräder ermöglichen zwar einen sicheren Stand, wenn man steht. Aber die Kurvenlage eines solchen Fahrzeugs ist sehr unvorteilhaft. Hingegen legt sich ein einspuriges Fahrzeug in die Kurve. Das ist nicht nur schneller – es ist dann auch sicherer.

Zweispurige Lastenräder kippen in der Kurve nämlich entgegen der Kurvenrichtung. Wenn einer der beiden Vorderräder in die Luft geht, dann wisst ihr was ich meine. Ich habe auch viele verschiedene zweispurige Lastenräder gefahren, das Problem blieb eigentlich immer gleich.

Insofern empfehle ich uneingeschränkt immer das einspurige Lastenrad. Den sicheren Stand im Stehen kann man auch mit einem guten (zweifüßigen) Ständer erzielen.

Die kleineren Räder des Mulis fallen aber nicht weiter auf. Man gewöhnt sich schnell an das Handling des Rads. Ich hatte damit bisher keinerlei Probleme. Auch meine Frau fährt sehr gerne und sehr sicher mit dem Rad.

Conclusion – Fazit nach einem Jahr Muli

Das Muli war ein voller Erfolg. War ich zunächst zwar von der Idee überzeugt, so hat es sich auch in der Praxis durchgesetzt. Im Alltag ist das Muli bei uns kaum weg zu denken. Ob man zum Einkaufen fährt oder mit den Kindern unterwegs ist. Der Radius der eigenen Reichweite hat sich vervielfacht. Statt mit dem Auto ist das Muli für alle Strecken bis 30km eine echte Option.

Die mehr als 1.000 zurückgelegten Kilometer mit dem Lastenrad sprechen auch für dieses Fazit. Und auch wenn die Kinder bald aus dem Lastenrad ausgewachsen sind, so wird es immer als Transporter weiter genutzt werden. Über einen Weiterverkauf denke ich aktuell gar nicht nach.

Eine Einschränkung muss ich jedoch noch machen. Die Größe des Korbs ist überschaubar. Wenn man plant auch größere Pakete oder Baumarkt-Einkäufe zu transportieren. Dann gibt es sicherlich bessere Optionen. Jedoch wird das immer schwer vereinbar sein mit einem guten Kindertransport. Was mir beim Muli da noch fehlt, wäre eine Option den Korb durch eine Ladefläche zu ersetzen. Also optional den Korb abbauen und als reine Ladefläche nutzen.

Und habt ihr euch schon für ein Lastenrad entschieden?