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Fahrradreifengrößen und deren Standards sind so unzugänglich und kryptisch wie die Hyroglyphen an den Wänden ägyptischer Bauwerke. Wer sich nicht sowieso schon zu den Fahrrad-Freaks, -Nerds oder -Fanatikern zählt wird mit 700C, 28×1 1/8 und 40-622 nichts anfangen können. Und nun kommt der Bikepacking und Allroad-Bike Boom mit 650B um die Ecke. Wir erklären woher der aktuelle Hype um diese Fahrradreifengröße kommt, für wen er nützlich ist und was es mit dieser Größenbezeichnung auf sich hat.

Die Geschichte der 650B Reifen

Französische Größenbezeichnungen waren neben den britisch Imperialen die häufigsten Zahlen die man auf Reifenflanken von Fahrrädern in den letzten 60 Jahren vorfand. Nach und nach ist man aus ganz logischen Gründen von diesen abgerückt. Denn sie hatten beide gemein, dass sie verwirrend und häufig zu falschen Annahmen führten. Ein 28 Zoll Reifen ist nämlich nie 28 Zoll im Durchmesser. Und 700C suggeriert eine Endgröße, ist jedoch nur maximal als Richtwert zu verstehen.

Die deutlich einfachere und eindeutig unmissverständliche ERTRO Schreibweise haben wir bereits im Detail in diesem Beitrag zu Fahrradreifengrößen vorgestellt. Dort werden die britische, französische und ERTRO Notation auch im Detail nebeneinander gestellt. Aber bleiben wir bei den französischen 650B.

Zurück in Frankreich gibt es jedoch auch gute Ideen, die an dieser Schreibweise hervorzuheben sind. Denn man schafft es sehr kompakt eine Reifengröße zu beschreiben. Bei der ein finaler Radumfang und -durchmesser gleichzeitig ablesbar sind. Während die ersten Zahlen den ungefähren Radumfang darstellen (700 = Große Räder von Herrenrädern, 650 = Damenräder und Jugendräder als auch für Spezialgebiete wie Randoneure und 600 = Kinder und Jugendräder). Der Buchstabe hingegen stehen für die Reifengröße. Von C mit etwa 39mm (größere Reifen) nach A fur schmale Rennrad-Reifen. Beides zusammen hätte so gut klappen können, doch in der Praxis kann man nicht Mal eben eine Felge mit einer beliebigen Reifengröße kombinieren. So sind 700B Reifen auch nie marktreif geworden. Doch die Größen und Bezeichnungen 700C, 650B und 600A sind bis heute geläufig.

Französische Größen und Buchstaben

Genau genommen kann man die gängigen Größen von französisch ins ETRTO System eindeutig und auf den Millimeter genau umrechnen. In folgender Tabelle haben wir die genauen Durchmesser und Notationen zur Übersicht für die gängigen 28er Reifen dargestellt.

ETRTOFranzösischBritischErgibt Effektive Laufradgröße
622
(Felgendurchmesser)
700C28"622mm Felgengröße
(jedoch berechnen die britische und französische Notation immer noch Reifengrößen hinzu und trennen Felgen von Reifen nicht eindeutig)
32-622700C oder 700-30C28 x 1 1/4"686mm
54-584650B oder 650-54B27,5 x 2 1/8"692mm
60-559650C oder 650-60C26 x 2 3/8"691mm

27,5″ = 650B

Schon lange kennt man 26 Zoll und 27,5 Zoll in der MTB Szene. Als die ersten Mountainbikes auf Kaliforniens Singletrails Ende der 80er Jahre runter geschossen sind waren 26 Zoll das Maß der Dinge. Später wollte man größere Reifen um Dank des größeren Umfangs einen besseren Winkel beim Überfahren von Wurzeln und Schlaglöchern zu haben. Natürlich griff man also einfach im Warenhaus nach der nächsten Größe. Und nach 26″ kommen eben klassisch die 27,5″ (entspricht 650B).

Wie bereits erwähnt kann man 650 (als Raddurchmesser in Millimeter verstanden) und „B“ umrechnen. B steht für 33mm Reifenbreite. Im Durchmesser des Laufrads ist der Reifen zwei Mal enthalten: 650 – 33 x 2 ergibt 584mm. Was ziemlich exakt dem britischen 27,5″ Laufrad entspricht. (wenn auch diese 27,5″ effektiv 700mm ergeben, aber damit ist ja auch wieder der Gesamtdurchmesser mit Reifen und Felge gemeint; verwirrend ist hier Programm)

Die identische effektive Laufradgröße erreicht man mit extra großen 650B Reifen.

Kurz gefasst sind folgende umgangssprachlichen Größen gleich zu setzen mit:

  • 28er Reifen – oder 28 Zoll oder 700C oder 622mm Laufräder (Felgendurchmesser)
  • 650B Reifen – oder auch 27,5 Zoll oder 584mm Laufräder (Felgendurchmesser)
  • 26er Reifen – oder auch 26 Zoll oder 559mm Laufräder (Felgendurchmesser)

Vorteile der 650B Laufräder

Warum nur kommen gerade die 650B in Mode? Gravelbikes sind Allroad-Rennräder. Die durch eine größere Reifenfreiheit ihr Einsatzgebiet vergrößern. Vorteile dabei sind kurz und knapp:

  • Gleiche Geometrie wie ein Rennrad, aber deutlich größere Reifen. Dein Rad fühlt sich sportlich an, sieht aus wie ein Rennrad aber fährt Trails wie ein Mountainbike.
  • Voluminöse Reifen haben einen höheren Federweg, das Rad fährt sich bequemer auf langen Strecken.
  • Voluminöse Reifen haben mehr Grip und kommen besser durchs Gelände.

Fahrradrahmen-Hersteller müssen jedoch in die Trickkiste greifen. Denn beim Rennrad ist kein Platz für große Reifen, weder an den Bremsen noch am Rahmen. Das Bremsproblem wurde durch den Scheibenbremsen-Boom der 2000er Jahre aus dem Weg geräumt. Und wie bekommt man große Reifen in den engen Rahmen? Einfach.

Anstelle die Rahmen alleine größer zu machen hat man die Felgen geschrumpft. Wie oben gezeigt haben kleinere Felgen und dicke Reifen effektiv den gleichen Umfang wie große Felgen und kleine Reifen. Und schon war das 650B back in business.

Statt nur den Rahmen zu vergrößern und verbreitern kann man mehr Reifenfreiheit durch kleinere Felgen mit größeren Reifen kombinieren. 30mm Reifen mit 28er Laufrädern sind effektiv etwa so groß wie 48er Reifen bei 27,5″ (650B).

Um die gleiche Größe am 650B wie am 700C (28er Reifen) zu erreichen kann man verschiedene Reifen kombinieren. Wir haben beispielhaft ein paar mögliche Reifen in 650B und 28 Zoll nebeneinander gestellt. Die beide jeweils die gleiche Gesamtreifengröße ergeben.

650B (27,5")28er (700C)
60mm Reifen
(702mm effektive Radgröße)
40mm Reifen
(702mm effektive Radgröße)
48mm Reifen
(680mm effektive Radgröße)
29mm Reifen
(680mm effektive Radgröße)
38mm Reifen
(660mm effektive Radgröße)
20mm Reifen
(662mm effektive Radgröße)
32mm Reifen
(648mm effektive Radgröße(
-
(nicht abbildbar)

Man sieht: sogar in einem super-retro Stahlrahmen-Rennrad mit 20mm Reifen könnte man noch 38mm 650B Reifen fahren. Rein theoretisch! Denn bei so engen Rahmen spielt nicht nur der Umfang des Reifens sondern auch die Breite eine Rolle. Sonst reibt der Reifen an den Kettenstreben links und rechts!

Dem Problem der Kettenstreben begegnen moderne Bikes ganz kreativ. Sie stauchen die Streben und verwenden statt Rohre einfach kompakte Massivkörper. Oder senken die rechte Strebe ab, wo Reifen, Strebe und Kettenblätter in die Quere kommen könnten.

Kann jedes Rad zwischen 28″ und 27,5″ wechseln?

Nun fragt man sich natürlich – kann ich an meinem Rad auch 650B Räder montieren? Wenn man sich gefederte und Offroad-kompatible Reifen wünscht, dann liegen die Vorteile auf der Hand. Aber so einfach ist der Austausch nicht. Darauf müsst ihr achten:

  • Ihr müsst selbstverständlich nicht nur den Reifen sondern auch die Felge (und damit praktisch das komplette Laufrad) wechseln. Von 622mm auf 584mm Umfang.
  • Euer Fahrrad muss mit Scheibenbremsen ausgestattet sein. Felgenbremsen wie V-Brakes oder Cantilever haben in den allermeisten Fällen nicht die Reichweite am Rahmen um mit der kleinere Felge kompatibel zu sein.
  • Zwischen den Sattel- und Kettenstreben muss genug Platz gegeben sein. Konsultiert unbedingt den Hersteller des Rahmens, ob dieser mit 650B Reifen kompatibel ist. Die meisten modernen Gravel-Bikes geben dies immer an.