Update: Dieser Beitrag ist veraltet. Zur aktuellsten Version dieses Artikels bitte hier entlang: Rennrad Tubeless.
Mein Kampf mit Tubeless-Reifen geht mit diesem Projekt ins Finale. Als ich den Entschluss gefasst habe mein Rennrad auf Schlauchlos „upzugraden“. In dieser Schlacht zwischen Material, Mensch und Maschine die Nerven zu behalten ist nicht leicht. Dichtmilch spritzt und verklebt alles, während man mit pappigen Fingern die extrem eng sitzenden Reifen auf die Felge ziehen will. Sollte man sich die Finger also lieber nicht dreckig machen? Ist im Jahr 2020 die Technologie noch nicht ausgereift genug? Hier kommt der Werkstattreport aus der Gefechtszone.
Stand der Technik – Tubeless und Rennrad geht das?
Update (Dez 2020) – Die Welt hat sich mittlerweile weiterbewegt, ich habe deshalb diesen Teil des Artikels aktualisiert.Leider hat sich auch im Jahr 2020 noch kein Gremium gefunden, welches einen einheitlichen Standard zu Tubeless Reifen für Rennräder verabschiedet hätte. Zwar sprechen diverse Größen der Branche (Schwalbe, Continental, usw.) seit Jahren (auch gemeinsam) darüber, dass man die Standards angleichen muss. Aber eine einheitliche Basis gibt es stand heute nicht.
Es geht dabei um Standards, denen alle Reifen- und Felgenhersteller zustimmen würden. Details sind beispielsweise Toleranzen in Größenabweichungen am Reifen, der Wulst, Felgen-Maulweite oder ob man überhaupt Haken- oder Hakenlose-Felgen verwenden sollte. Das ist gar nicht so einfach, denn hier kochten die meisten Hersteller lange ihr eigenes Süppchen. Das hat sich aber mittlerweile (hoffentlich) gelegt, denn es gibt in einer Arbeitsgruppe der ETRTO einen neuen Standard. Welcher speziell Rennradreifen zum Tubeless-System verhelfen soll.
Early Adopter oder zu spät zur Party?
Klar, eine Technologie die es schon knapp 15 Jahre auf dem Fahrradmarkt gibt, wie kann man da noch 2020 sich als Early Adopter präsentieren. Doch man muss genauer hinsehen, im Rennradmarkt sind Tubeless Reifen bis heute noch die Ausnahme. Neben Clincher und Tubular ist der Tubeless-Reifen noch die seltenste Variante. Doch da gab es gerade dieses Jahr einige Signale aus dem Profisegment. Teams wollen schon sehr bald auf Tubeless wechseln. Studien attestieren diesem System eine noch bessere Effizienz als dem Tubular System (diese werden hier angesprochen: CyclingTips Podcast). Wobei man diese Aussage nicht überbewerten sollte, da es einfach zu viele Faktoren gibt. Welche dem einen oder anderen System die Präferenz geben würden.
Zudem ist der aktuelle Trend deutlich breitere Reifen bei Rennrädern aufzuziehen dem Tubeless dienlich. Denn desto breiter der Reifen desto höher ist die Toleranz beim Reifen. Und diese ist deutlich kleiner bei Tubeless als bei klassischen Schlauchreifen. Insofern unterstützt diese Entwicklung den Tubeless Reifen für Rennräder zu etablieren.
Man muss also die Aussage relativ betrachten. Ja, 2020 ist man im Rennradreifen-Segment noch Early Adopter mit Tubeless-Reifen. Doch es tut sich einiges und schon bald wird es Standard. Auch gibt es mittlerweile einheitliche Standards zwischen den Herstellern.
Tubeless-Rennradreifen Standards
Eine Arbeitsgruppe der ETRTO (European Tire and Rim Technical Organisation), bestehend aus führenden Herstellern von Fahrradreifen und Felgen, haben mittlerweile auch Standards für Rennrad-Tubeless-Reifen verabschiedet. Bedeutet, es gibt mittlerweile „zuverlässige“ Kennzeichnungen auf den Produkten. Die zwischen verschiedenen Reifen und Felgen universell funktionieren. Zudem ist der strukturelle Aufbau gleich, denn es war bisher noch nicht klar wie das Felgenbett eigentlich am besten für Tubeless aufgebaut sein sollte. Klassisch mit Haken oder ohne?
Ein wesentliches Ergebnis der Arbeitsgruppe war die Einigung auf Toleranzen am Reifen. Häufig hatten Hersteller von Reifen diese sehr eng gewählt, was dazu führte, dass Tubeless-Rennradreifen extrem schwer zu montieren waren. So kann ein Reifen zwar nur schwer von der Felge springen. Was der Sicherheit nützt ist in der Montage aber mehr als knifflig.
Die offizielle Bezeichnung für Reifen, die dieser abgestimmten Norm folgen, heißen „Tubeless Clincher“ (TC).
Bei Felgen ist die Bezeichnung „Tubeless Straight Side“ (TSS) das offizielle Erkennungsmerkmal. Tubeless-Felgen haben diesem Standard folgend keine Haken mehr! Was im ersten Moment widersprüchlich klingt, soll gerade bei modernen Ultraleicht-Felgen hilfreich sein in der Fertigung. Ein Abspringen des Reifens wird auch dadurch verhindert, dass diese Felgen- und Reifenkombinationen nicht über 5 Bar Luftdruck gefahren werden dürfen.
Doch wie gut sind diese Standards? In meinem Fall habe ich Schwalbe One Rennradreifen getestet, die auch „Tubless Easy“ bezeichnet werden. Ob das wirklich gut geht lest ihr unten in der Montage…
Tubeless-Rennradreifen aufziehen – ein echter Kampf
Nicht zum ersten Mal montiere ich Tubeless Reifen. Sowohl am Gravel Bike (38mm Reifen, Compass Cycles / René Herse), am Tourenrad (42mm Reifen, Gravelking SS) als auch MTB (2 1/4″, Continental) sind bei meinen Rädern aktuell schlauchlose Reifen drauf. Mal mit mehr mal mit weniger Stress. So oder so ist Tubeless selten geschenkt, nur mit viel Übung kriegt man den Dreh raus. Unsere generelle Anleitung findet ihr hier:
Doch was mich mit den Rennrad Tubeless Reifen erwartete war unvorstellbar. Puls auf 180 bis zur völligen Verzweiflung. Mehrere gebrochene Reifenheber. Eine Dichtmilch-Explosion. Und es hat fast eine Woche gedauert, bis der Reifen saß und dicht war. Doch alles der Reihe nach.
Vorbereitung zur Montage
Mein Setup am Rennrad sieht wie folgt aus. Zur Montage habe ich Tubeless-Ready Felgenbremsen-basierte DT SWISS PR 1400 Dicut Felgen genommen. Laut Hersteller sind diese speziell für Tubeless entwickelt. Es sind Hakenlose-Felgen (Hookless-Rims), was für Tubeless optimiert sein soll. Geliefert werden die Felgen direkt mit Tubeless-Felgenband, somit spart man sich einen wichtigen Schritt im Setup.
Das Hakenlose-Design folgt dem neuen Tubeless-Standard „TSS“ (Tubeless Straigt Side). Darauf haben sich die Hersteller von Felgen geeinigt, welche an der Arbeitsgruppe der ETRTO teilgenommen haben. Wir können uns also darauf einstellen, dass das der neue Standard auf dem Markt für schmale Reifen wird. Also Gravelbikes und Rennräder.
Vervollständigt wird das Setup mit Tubeless-Easy Reifen von Schwalbe. Schon am Namen erkennt man, dass „Easy“ und „Ready“ irgendwie nicht zusammen passt (demnach ist mein Setup jetzt schon „Easy Ready“). Genau gesagt hatte ich mich für die Schwalbe G-One 28-622 entschieden.
Zusätzlich im Spiel waren:
- Standpumpe
- Selbstgebauter Tubeless Kompressor
- Tubeless Kit (Ventile, Felgenband)
- Tubeless Dichtmilch
- Reifenheber (möglichst stabile)
- Schlauch (zum Setzen des Reifens)
- Wasserlösung (einfach Wasser mit Spüli, oder von Schwalbe im Tubeless Kit ‚Easy Fit‘ Tube mit Schwamm)
Ja, man braucht tatsächlich einen Schlauch um schlauchlos zu fahren. Warum erfahrt ihr in der detailierten Montageanleitung.
Tubeless-Rennradreifen Montage
Jetzt muss man stark sein und möglichst alle Kniffe aus dem Repertoire holen. In die Hände spucken, Ärmel hoch und VIEL VIEL Geduld mitbringen. Generell empfiehlt es sich für die Montage der Tubeless-Reifen mindestens 24 Stunden Zeit zu nehmen. Selbst wenn der Reifen direkt sitzt kann er in der ersten Zeit deutlich schneller Luft verlieren. Bis alle kleinen Ritze mit Dichtmilch gefüllt sind. Das gilt generell immer für Tubeless-Reifen, nicht nur beim Rennrad.
Bei schweren Fällen (wie in meinem Fall) kann man auch bis zu 7 Tage einplanen bis der Reifen optimal sitzt (woran das liegt seht ihr unten im Schritt „Reifen setzen lassen“). Gerade bei Rennradreifen sollte man keine Wunder erwarten. Nur im Glücksfall wird der Reifen ohne Probleme direkt sitzen. Falsche Erwartungen helfen hier nicht weiter, da man schon ein dickes Fell mitbringen muss.
Best Case Scenario:
Im besten Fall (was meist bei MTB Reifen gilt) ist die Tubeless Montage nicht schwer und folgt diesen einfachen Schritten:
- Reifen auf Felge einseitig aufziehen und Ventil installieren.
- Zweite Reifenseite auf die Felge ziehen und dabei schon die Dichtmilch an der Reifenflanke eingießen. Danach diese Reifenseite komplett auf die Felge ziehen.
- Mit einer Standpumpe und etwas Druck viel Luft in kürzester Zeit in den Reifen bringen, meist springt der Reifen direkt auf die Felge mit einem ‚PLOPP‘.
- Eventuell die Milch noch im Reifen verteilen (durch rotierende Bewegungen des Laufrads) und prüfen ob der Reifen die Luft hält, eventuell nachpumpen. Fertig.
Worst Case Scenario:
Wenn alles schief geht, dann sieht der Prozess deutlich komplexer aus. Die folgenden Schritte geben die grobe Idee wieder. Im Detail folgen die Schritte und Fotos gleich danach.
Unterhalb der folgenden Anleitung findet ihr auch noch einen Link zu einem Beitrag, speziell zur Tubeless-Montage (inkl. „harte Fälle“ und Tipps).
Part 1: Reifen setzen lassen
Damit Tubeless funktioniert muss die Luft im Reifen dicht halten. Dazu muss der Reifen extrem eng auf der Felge sitzen. Entsprechend sind die Reifen nur mit viel Geschick auf die Felge zu bringen. Und man wird den Reifen bis max. erlaubten Druck aufpumpen müssen, was aber auch dann noch nicht genug ist. In meinem Fall sind laut DT SWISS diese Felgen bis max. 5.0 Bar erlaubt. Laut Schwalbe ist der Reifen aber bis 6.5 Bar freigegeben. Es gilt also das Limit von 5.0 Bar für mich.
Es empfiehlt sich den Reifen mit Schlauch zuerst aufzupumpen. Aus drei Gründen:
a) der Reifen passt sich der Felge an und dehnt sich (er „setzt“ sich), dazu muss der Reifen am besten mind 48 Stunden mit Schlauch und maximalem Druck ruhen;
b) Fehlstellungen können erkannt und ausgeglichen werden (wenn der Reifen an manchen Stellen nicht korrekt sitzt); Das war in meiner Montage der Fall, siehe Bilder unten.
c) Bei der späteren Schlauchlosmontage ist eine Reifenseite bereits auf der Felge und die Konvertierung zu Tubeless gelingt einfacher.
Der Reifen muss an der Flanke rundherum perfekt sitzen. In meinem Beispiel tut er dies nicht, siehe Bild unter dem Absatz. Deshalb muss der Reifen noch mal die Luft rauslassen und mit einer Wasserlösung an der Flanke eingerieben werden. So verringert man die Reibung und der Reifen springt beim zweiten Versuch und einer „Massage“ nach und nach komplett auf die Felge.
Jetzt bleibt der Reifen mind. 48 in dieser Position ruhen. Ich habe ihn zusätzlich mit einer 25km Ausfahrt weiter an die Felge angepasst, wieder auf maximalen Druck aufgepumpt und wieder zwei Tage ruhen lassen.
Part 2: Tubeless Montage
Wenn der Reifen nun mit Schlauch sich der Felge angepasst hat kann man zum finalen Schritt übergehen. Den Schlauch entfernen und erst ohne Dichtmilch aufsetzen. Wenn alles passt, dann mit Dichtmilch wiederholt aufpumpen und hoffen, dass nun alles sitzt und keine Luft mehr entweicht. Die nächsten Tage wird man aber den Reifendruck unbedingt prüfen müssen. Wie folgt die Schritte im Detail.
Nach diesem explosiven Unfall sind die weiteren Fotos zwar ausgeblieben. Aber hier hilft nur noch alles verfluchen, Pause machen und durchatmen. Irgendwann klappte es dann aber doch mit den Tubeless Reifen, ganz ohne Schlauch.
Noch mehr Tipps für harte Tubeless-Fälle findet ihr hier:
Vorteile der Tubeless Rennradreifen
Zum Schluss über die Motivation zu sprechen ist vielleicht nicht optimal. Aber die Erfahrung zur Montage zu teilen war einfach der primäre Punkt dieses Beitrags. Was genau sind die Beweggründe um überhaupt ein Rennrad auf Tubeless umzurüsten? Eben aus Perspektive des Rennradfahrers.
Gewicht:
Ich habe mein Laufrad vor und nach der Tubeless-Montage gewogen. Der Unterschied ist sehr klein und dürfte in der Regel nur geringfügig „pro“ Tubeless zählen.
Rollwiderstand:
Es gibt aktuell keine Studien die es belegen, aber Prinzipiell ist nicht ausgeschlossen, dass die Reibung zwischen Reifen und Schlauch höher sein könnte als ohne. Denn die Dichtmilch wird durch die Zentrifugalkraft an die Außenwand gedrückt und sollte sich nicht allzu viel bewegen. Alles jedoch nur hypothetische Annahmen.
Geringerer Luftdruck:
Prinzipiell formiert sich eine Bewegung pro reduziertem Luftdruck bei Fahrradreifen, die besagt, dass Reifen mit ausgewogenem Luftdruck schneller rollen als pauschal die Reifen auf maximal empfohlenen Druck des Reifen-/Felgenherstellers zu pumpen. Ein geringerer Luftdruck ist jedoch mit Schläuchen genauso gut möglich. Lediglich das Argument, dass man gegen Durchschläge mit Tubeless besser gesichert ist, gilt für Rennrad praktisch nicht. Da diese Panne in der Regel nur Offroad auftritt.
Pannenschutz:
Zuletzt der wichtigste Aspekt der Tubeless-Bewegung. Die Dichtmilch im Reifen verhindert kleinere Pannen am Schlauch, die sonst zu einem platten Reifen geführt hätten. Wer also häufiger Probleme mit platten Reifen aufgrund schon spitzen Steinen oder Glasscherben am Rennrad zu tun hatte wird Tubeless lieben.
Fazit und Empfehlung
Würde ich Tubeless Rennradreifen weiterempfehlen?
Nein, nur unter Einschränkungen. Es ist denkbar, dass die Konvertierung gut klappt. Aber das ist nicht die Regel.
Es ist Stand 2020 noch nicht sinnvoll darauf zu wechseln, denn die Gründe die dafür sprechen sind sehr gering. Wer (so wie ich) den neuesten Stand der Technik einfach ausprobieren will um mit der Zeit zu gehen, so kann sich die Mühe dann schon Mal lohnen. So selten sind platte Reifen an meinem Rennrad nicht, denn nach 100-200km kommt es immer mal wieder vor, dass ich einen kurzen Pit-Stop einlegen muss um einen Schlauch zu wechseln. Und die Zahl der Fahrradschlauch-Flicken in meinen Schläuchen spricht statistisch auch dafür, dass dies häufig genug passiert.
Die Mühe und Stress rechtfertigen es jedoch aktuell noch nicht. Die Technologie muss speziell auch für Rennradreifen reif genug sein. Und das wird noch etwas dauern. Aber das Marketing und damit verbundene Innovations-Überbewertung wird auch hier als treibende Kraft vermutlich schon bald dafür sorgen, dass alle Tubeless am Rennrad haben wollen. Pure Vernunft und Rationalität wird eben niemals siegen.